Woanders

Samstag, 16. Mai 2009

Görlitz

Betont forschen Schrittes die Strassen durchstreifende Rentnerpärchen prägen das Bild der Stadt. Ihre Wünsche nach Bunzlauer Keramik, schlesischen Delikatessen und Rotwein werden von ausgesprochen freundlichen aber abgehärmten Görlitzer Dienstleistern erfüllt, sozusagen von den letzten verbliebenen Einheimischen der Stadt - seit der Wende ist die Bevölkerung auf die Hälfte geschrumpft. Die Jugendlichen, die man sieht, kommen meist aus dem polnischen Teil der "Europastadt".
Die Stadt wirbt mit Zuzugsprämien um neue Mitbürger, wohl mit Erfolg, es sollen sich einige westdeutsche Ruheständler angesiedelt haben - in dieser wirklich schönen Umgebung hat man ca. 20 Prozent weniger Lebenshaltungskosten als im Westen des Landes.

Die witzigste Gedenktafel ist die des hühnerologischen Vereins.

Einige Gebäude warten noch auf Wiederherstellung.

Schöne alte Tore, unrestauriert...

... und restauriert.

Fassadendetail.

Bei der Jesusbäckerei beginnt die Prozession zum Heiligen Grab - einer originalgetreuen Nachbildung der Jerusalemer Grabstätte.

Hier geht es zum Grabersatz..

Fussgängerbrücke nach Zgorzelec, völlig unkompliziert ohne Kontrollen, ich staune immer noch.

Brücke von Zgorzelec aus. "Schoaschelesch" dachte ich wird das ausgesprochen, stimmt aber nicht, irgendwo kommt ein "tsch" dazwischen.

Impression auf polnischer Seite.

Fensterdetail.

Görlitz hat eine der wenigen unzerstörten Synagogen, die trotz teilweiser Erneuerung immer noch stark restaurierungsbedürftig ist.

Zierrat in der Kuppel.

Kuppelrunddetail.

Im Apollo-Theater sehen wir abends eine von Arbeitslosen gemeinsam erarbeitete Aufführung: "Hartz bekommen - weggeschwommen", ein komödiantisches Volksstück ohne Happy-End.
In einem polnischen Lokal probiere ich Brotgetränk - getreidiger Geschmack, erfrischend - und belausche zwei ältere Mädchen am Nachbartisch: "Ich hau alles kurz und klein und das wird dann gefilmt, in irgendeiner Ruine ... machst du mit?" Die andere nickt. Sie sind nicht aggressiv drauf, eher pubertär produktiv, und Ruinen sind genug vorhanden.

Erwähnenswert ist übrigens die ODEG (Ostdeutsche Eisenbahn), eine Privatbahn mit sympathischem Service: Kaffee und Sandwich wird zu zivilen Preisen zum Platz gebracht. Die Haltestellen mancher kleiner Dörfer sind Bedarfshalte: bitte Stopptaste drücken.

Ortsnamen auf deutsch und sorbisch.

Ostdeutsche Eisenbahn in Gegenrichtung.

Montag, 27. April 2009

In Schmalkalden...

...sind auch die Gullideckel sehenswert.

Hier traf sich wieder die skurrile Gesellschaft aus Ost und West, nämlich die Nachkommen des Lokomotivführers Michael Geib aus Stanislau in Galizien, der war mein unbekannter Urgrossvater.

Der Kern der Stadt besteht fast nur aus alten Fachwerkhäusern, meistens aus dem 16. Jahrhundert. Dieses Haus fällt aus dem Rahmen mit seinen zierschornsteinähnlichen verbindungslosen Holzröhrchen und den gotisch anmutenden Fensterbögen.

Die Stadt ist schön, sehr geschichtsträchtig, wurde im Mittelalter reich durch Erzabbau und wirbt heutzutage um Studenten, indem sie deren Semestergebühren bezahlt, sofern sie ihren Erstwohnsitz dort haben.

Ausflug nach Meiningen. Viel Zeit war nicht. Die Formulierung auf der "Gedenktafel" finde ich witzig. Stolz darauf zu sein, dass eine Berühmtheit zufällig hier Rast hielt auf der Flucht. Wie viele flüchtende Menschen zu allen Zeiten rasten irgendwo.

Sonntag, 12. April 2009

Wüste Kirchen...

... gibt es insgesamt dreizehn in der Uckermark. Die Dörfer drumrum wurden meist aufgegeben wegen Bevölkerungsrückgang infolge von Hungersnöten und Seuchen im 14. Jahrhundert und dann noch mal im Dreissigjährigen Krieg. Wir besuchen die nahe Berkenlatten, die zu dem im 14. Jahrhundert verlassenen Dorf Bischofshagen gehörte. Auf der Infotafel steht, das später neu aufgebaute Dorf wurde einen Kilometer entfernt von der Wüstung errichtet, um die alten Geister nicht zu wecken.

Ruine der Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert.

Detail des Gemäuers

Dazwischen Blumenwiese mit Veilchen, Anemone, Scharbockskraut.

Und noch mehr Feldsteingemäuer.

Abends wieder ein Feuer, mit uralten Nüssen diesmal, die brennen lange und intensiv.

Mittwoch, 1. April 2009

Kaffeesatzlesen

Im Lastenaufzug hoch in den 5. Stock, Schlüssel umdrehen und gleichzeitig auf Knopf drücken, Warnung: Transport von Kindern strengstens verboten, Betreten auf eigene Gefahr, es quietscht und rumpelt, ich schliesse die Augen. In der alten Fabrik in Hamburg-Hasselbrook befindet sich ganz oben unterm Dach eine Vorlesebühne, Autoren lesen aus ihren Neuerscheinungen, der grosse Raum ist rappelvoll mit interessiertem Publikum, es gibt Kaffee und Kuchen. Die Texte der Vorleser sind nicht nur auf Lacher ausgerichtet und sehr verschieden, sie sind unterhaltend oder schlagen mich in ihren Bann.


Kleiner Spaziergang in Hasselbrook durch Laubengegend. Diese Treppe führt direkt auf die S-Bahn-Schienen.

Blaublaueramblauesten - aber die Farbe der Hütte passt irgendwie nicht zur Giesskanne.

Rückfahrt im Zug. Durch getönte Scheiben auf die Elbe blicken.

Kaffeebecher aus Pappe, Detail.

Montag, 6. Oktober 2008

Puppen und Pistolen

Schaufensterdekoration in Angermünde: Schwarze "Künstler"-Babypuppe neben Pistolen.

Montag, 28. Juli 2008

Pfefferminze frisch aus Marrokko

Der Markt in Mulhouse ist bunt, lang, arabisch gefärbt und zweigeteilt, auf der einen Seite Lebensmittel, auf der anderen alles andere.


Für die arabische Frau.

Ich liebäugle mit einer Tasche, die ein wenig eingerissen ist. Weil ich nicht französisch kann und der schwarze Verkäufer nicht englisch und er ausserdem so tut, als könne er keine Finger zählen, fällt das Feilschen schwer, nur 2,50 kann ich runterhandeln, ziehe etwas unbefriedigt mit meinem Fang ab und frage mich, ob sich das gelohnt hat.

In der Markthalle beim arabischen Fleischstand liegen Lammaugen, Pansen, Füsse aus. Der Verkäufer bedeutet mir, nicht zu fotografieren. Ich schaue ihn fragend an, warum nicht, er sagt mit dem Finger nein nein, ich hebe fragend die Schultern, er wieder nein nein mit dem Finger. Göttchen, ich will ja nicht ihn beim Schächten ablichten, sondern nur seine ausgestellte Ware.


Und hier ist sie.

Sonntag, 27. Juli 2008

Der hagere Altmeister

Leonard Cohen live in Lörrach. Toll.


Die Stimme immer noch voll da.


Er gab eine Zugabe nach der anderen.

Spuren der Alten

Durch das verglaste Loch im Erdboden fällt mein Blick auf einen kleinen Schädel und hochgestapelte Steinberge. Spuren der Kelten in Basel - ein freigelegtes Kindergrab und Trockensteinmauerreste, die früher angeblich 6 Meter hoch und 11 Meter breit waren (wenn ich mich richtig erinnere). Auf Infotafeln steht allerlei Wissenswertes zur keltischen Besiedlung, puh, es ist so heiss, obwohl interessant, kann ich es mir sowieso nicht merken, will es auch nicht fotografieren, nicht später nachlesen, ein Hauch dieser sonst verborgenen vergangenen Welt hat mich erreicht und Punkt.

Ausserdem habe ich schon ein anderes Kurzstudium begonnen: die Pflanzen an der Westfassade des Basler Münsters. Ob ich alle vierzehn hier auswendig niederschreiben kann? Also:

Efeu: immergrün, bedeutet ewiges Leben, Auferstehung, ausserdem Schutz vor bösem Blick.
Weissdorn: Hecke zum Schutz der Behausung, die getrockneten gemahlenen Früchte als Mehlzusatz.
Hagdorn (Hagebutte): ebenfalls Schutz bringende Hecke und essbare Früchte. Im Mittelalter Blume der Jungfrauen. Maria durch ein' Dornwald ging, Vermutung gegen die sündige Eva, vielleicht sogar gegen germanische Göttinnen.
Eiche: geröstete Früchte verlieren Bitterkeit, Urnahrung. Gerbstoffe der Rinde lassen Wunden heilen. Übertragung auf Christus.
Nelkenwurz: stark riechende Wurzel, Dämonenabwehr.
Beifuss: Heilkraft, Dämonenabwehr.
Wilde Erdbeere: blüht und fruchtet gleichzeitig, Marienpflanze, dreiteiliges Blatt Symbol für Dreifaltigkeit.
Haselnuss: Urnahrung, Schutz vor bösen Geistern.
Feldahorn: Schutzbaum, Blätter als Nahrungsmittel.
Hopfen: hält durch Bitterkeit Fäulnis von Getränken fern.
Weinrebe: Wein als Heilmittel, dämonenaustreibend, reinigend.
Scharfer Hahnenfuss: heisst auf griechisch und lateinisch Frosch. Frösche und Kröten galten im MA einerseits als Auferstehungssymbol, andererseits als Sinnbilder irdischer Lüste. Giftig.
Pfingstrose: Heil- und Zauberpflanze, unwetterabwehrend, "Marienpflanze", giftig.
Zaunrübe: Ebenfalls Heil- und Zauberpflanze, giftig.

Dies natürlich nur in Kürze, zehn Pflanzen wusste ich immerhin auswendig. Und so scheint es mir zu gelingen, trotz mangelnder Bibelkenntnisse mich ein kleines bisschen den kirchlichen symbol- und geschichtsträchtigen Monumentalbauten zu nähern.

Diese Fresken aus Fabeln und Sagen sind dem Bildersturm nicht zum Opfer gefallen, vielleicht, weil sie nichts mit Maria zu tun haben:

Spuren alter Völker auch in Badenweiler. Die Römer hinterliessen hier eine prachtvolle antike Therme. Große Badebecken, Fussbodenheizung, ausgeklügelte Kanalisation, die sogar teilweise heute wieder in Betrieb ist.


Teil der Therme mit Badebecken.


Rohrsystem.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Prag

Anfangs alle paar Schritte stehengeblieben, Motive ohne Ende schon nahe der U-Bahn-Station Andel, die drückende Hitze weggeschoben. Fast jedes Haus ist einen zweiten Blick wert, verspielte Ornamente, bedeutungsschwere Skulpturen, Fratzen, Details, deren Sinn mir verschlossen bleibt, ungewöhnliche Schaufensterdekorationen, Menschen, Hunde, Katzen in Fenstern. Ich sauge auf und versuche festzuhalten.


Steinerne Weinrebe.


Hinten das "Tanzende Haus".


Schnell noch den Flötenmann festhalten...


...und das gespiegelte Haus...


...und das prächtige Gebäude mit dem Schriftzug "PRAHA", allein hier könnte ich minutenlang stehenbleiben.

Irgendwann schlaffe ich ab wegen Reizüberflutung und Hitze. Eine Pause im nächsten Café lädt die Batterie wieder auf.

Abends kommt das Gespräch auf Sinti und Roma, in Tschechien sind das 10% der Bevölkerung. Der da redet, scheint sich gut auszukennen. Er benutzt Worte wie "Wirtsvolk" und "Schmarotzer", mir fällt kurz gedankenverloren die Mistel ein, aber das Thema ist ernst, die Diskussion wird hitzig, der Redner bemüht sich um vorsichtigere Wortwahl: die Abneigung gegen dieses integrationsunwillige Volk resultiere womöglich auch aus einem gewissen Neid auf das ganz andere Lebensgefühl dieser Rasse, Leistungszwangverweigerung, "was gilt mir selbst mein Gerede von gestern"... aber das Wort "Rasse" lässt die Aufgeregtheit zeitweilig wieder aufwallen. Der Abend endet dann mit Zigeunerwitzen.

Am nächsten Tag sind wir fast ununterbrochen auf den Beinen, die anderen möchten die Zeit ausnutzen, um möglichst viel Verschiedenes zu sehen, ich wäre am liebsten auf dem Hügel geblieben.


Auffälliges Fenster.


Ein Blick zurück, oh guck mal!


Balkondetail.

Wir nehmen uns vor, beim nächsten Besuch schon vorher die Tagesabläufe festzulegen, um Teile der Stadt "zu erarbeiten" - vielleicht klappt das ja.

Sonntag, 1. Juni 2008

Paderborn

Um 10 Uhr früh zieht die Prozession am Schlafzimmer vorbei, abwechselnd liturgische Gesänge und Blaskapelle, klingt eigentlich ganz schön. Direkt an der Ecke vorm Haus dann dies, es hält sich den ganzen Tag:


Rosenkreuz aus echten Blüten in wässriger Flüssigkeit festgeklebt.

Auch sonst ist hier alles mächtig katholisch geprägt, 60 Kirchen, Läden mit Devotionalien, die Glocken läuten heute viel und laut, oder kommt es nur mir so vor? Marias Empfängnis wird gefeiert, mutmassen wir.


Katholikenshop mit Räuchermännchen.

Eine Stadt mit wenig Strassenbäumen. In der Fussgängerzone beim Eiscafé stehen vier, quadratisch zurechtgeschnittener Schopf, der Fuss einbetoniert mit kleinen Luftlöchern. Eine nüchterne ordentliche Stadt, größtenteils Nachkriegsbauten. Man gab sich Mühe, den Wiederaufbau zu dokumentieren, Fototafeln zeigen Gebäude vorm Krieg und zerbombt: schaut, das wurde uns angetan und schaut, so haben wir es wieder hergerichtet. Die Betonklotzigkeit wirkt deprimierend.


Paderborner Gullideckel mit drei Hasen und drei Ohren.

Im Museum der Bericht über die Hinrichtung eines Bürgermeisters, Abschreckung für Symphatisanten der Reformation.


Vom Chronisten detailiert festgehalten.

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