Montag, 11. August 2008

Heisse Blutwurst, Wodka viel

Sie stehen überall - auf dem alten jüdischen Friedhof, in Vorgärten, vor öffentlichen Gebäuden, neben Kirchenruinen. Sie fallen gerade überall runter und sie schmecken gut. Ich glaube, in keiner Stadt gibt es mehr Mirabellenbäume als in Lublin.


Mirabellen.

Der Kern dieser Stadt wird erst langsam restauriert und "schön gemacht", noch nicht übertüncht und ausgebessert sind die meisten Häuser, die Fassaden atmen matt den Hauch der Geschichte (misslungener Versuch, mich lyrisch ausdrücken).


Am Platz bei der Kirchenruine, im Lokal unten wurde Internetempfang versprochen, aber er funktionierte noch nicht.


Ein unbewohntes Haus im Zentrum.


Und gleich um die Ecke ein prächtig restauriertes Objekt.

Die Warnung, nicht in dunkle Hinterhöfe zu gehen, weil man da leicht ein Messer im Rücken hätte, stachelte uns dazu an, genau das sofort zu tun. Danach folgte uns eine Zeitlang ein junger Typ und rief irgendwas die Wohnungen hoch, aber vielleicht hatte es auch gar nichts mit uns zu tun.


Ein dunkler Hausdurchgang.


Renovierungsbedürftiger Hinterhof.


Detail mit Engel.


Auffällig schön.


Fensterstuck.


Rohr aus Maul.


Tordurchgang.

Die Menschen in dieser Stadt am Ostrand Polens wirken sehr westlich. Auffällig elegant zeigen sich vor allem alte Frauen. Tatsächlich habe ich noch nirgends so viele sorgfältig gekleidete Alte wie in Lublin gesehen.


Schicke alte Frauen.

Und jetzt zum Titel dieses Beitrags: Wodka.
In einem sozialistischen Restaurant gibt es Livemusik-Schnulzen und Tanz für Ältere. Getrunken wird hier viel, getanzt und geprügelt, jedenfalls als wir da sind. Wie im Film - zwei (ältere!) Frauen kriegen sich in die Haare, bespucken sich und kreischen. Die resolute ebenfalls alte Wirtin greift ein, die Kampfhennen räumen den Saal.
Foto machen war leider zu gefährlich.

Und auch zum Titel dieses Beitrags: Blutwurst. Die gibt es gegrillt und danach muss man gaaanz viel Wodka trinken.

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Treibgut - 16. Aug, 01:56

Lublin

Da würde es mir wohl auch gefallen, mal durchzuschlendern. Aber nach Polen hab ich's noch nie geschafft.

Barbara (Gast) - 17. Aug, 12:27

Klasse!

Superinteressant, dein Beitrag. Die Fotos: faszinierend marode. Die Texte: Wie eine Film-Geschichte. Ob ich dort wohnen möchte, ist was anderes. Aber mal anschauen und durchschlendern, wie du es anscheinend gemacht hast, zeigt einem wohl unsere Geschichte spürbar und haut-nah, und das ist wiederum faszinierend. Die wohlgekleideten Alten finde ich auch sehr bemerkenswert. Woran das liegt?

bronislava (Gast) - 18. Aug, 14:07

woran liegt es?

vielleicht daran, dass ein gewisses formgefühl nicht verlorengegangen ist, da doch sonst fast alles abhanden gekommen ist, vielleicht daran, dass die leute heruntergekommenheit nicht mit individualität oder sogar freiheit verwechseln wie anderswo, vielleicht daran, dass geschmack, selbstausdruck und würde zusammengehören.
kapuziner - 18. Aug, 14:27

Dort wohnen wollen ...

... würde ich auch nicht wegen der Sprachschwierigkeiten - ich käme mir vermutlich vor wie z.B. hier eine zugewanderte türkische Mami. Auch von der Mentalität her wüsste ich nicht genau, ob ich hinpassen würde, obwohl mein Großvater immerhin aus der Nähe von Lemberg stammt, allerdings wuchs er dort auch auf und sozusagen als Deutscher in das Vielvölkergemisch hinein.
Ich fand auch gerade das Marode, Abbröckelnde besonders - als ob da etwas mehr Vergangenheit zum Vorschein kommt, irgendwie "klebt" für mich wirklich vergangener Atem an den unrestaurierten Fassaden.
Ja, das waren schon sehr intensive spannende Tage, am liebsten wären wir noch über die Grenze nach Lemberg gefahren, nur 200 km weiter östlich, aber die Zeit reichte nicht.
Es freut mich, dass dir mein Beitrag gefallen hat!
zonenklaus (Gast) - 22. Aug, 12:50

ich möchte auf beide anmerkungen eingehen.
wobei mir zu dem ewigen lala von Treibgut nur einfällt, dass es hoffentlich so bleibt, dass es ihn, sie, oder es, niemals nach Polen verschlägt, auch nicht zum durchschlendern. die dortigen ureinwohner werden es, unbekannterweise sicher zu würdigen wissen.
zu Barbara,
ich finde, Kapuzina hat schon wesentlich bessere beiträge niedergeschrieben, diese ansicht ist allerdings subjektiv. (die bilder fand ich alle kommentarlos gut)
was soll an den fotos „faszinierend marode“ sein? „Die texte: „Wie eine Film-Geschichte.“ - ausschnitte aus einem silentmovie.
ja, „mal anschauen und durchschlendern…“ um sich „spürbar und hautnah“ unsere geschichte zeigen lassen.
- dann abends, in einer 5-stern-herberge an der bar, beim verbalen luftkampf an der theke, in der alternativen reisegruppe, darüber diskutieren, warum die Polacken alles so verkommen ließen - dies wiederum ist doch faszinierend. vielleicht solltest Du mal in den annalen Deiner sippe kramen. vielleicht findest Du, den einen oder anderen familienangehörigen, der damals aktiv mitwirkte, als man dieses land auslöschen wollte. Das es in Polen immer noch so aussieht, ist einem anderen teil der geschichte zu verdanken.
„Die wohlgekleideten Alten…“ ich würde sie eher für neureiche Russen, oder Amis mit polnischen wurzeln halten, mit diesen stillosen klamotten
bemerkenswert fand ich schon in kommunistischen zeiten die tatsache, dass polnische mädchen und frauen nie darauf wert legten, was schwanzlutschende modemacher aus Paris oder Rom den leuten offerierten. diese kreative art, der zurschaustellung von weiblichkeit, war schon vor vielen jahrzehnten einzigartig. (ich kann mich nicht erinnern, dass mir dort jemals violette latzhosen unter die augen kamen) im rest des Ostblocks tat man sich immer schwer mit modischer eleganz, außer der minderheit, die ihre klamotten selber herstellten. wenn ich an meine letzten klassentreffen denke, da lebt bei einigen mädels der zonenschick auch weiter fort, in form merkwürdiger kostüme aus besseren sackleinen, die Kanzlerin ist dieser nostalgie auch heftig verfallen…

kapuziner - 22. Aug, 21:32

Erwiderung

In meiner Antwort auf Barbaras Kommentar steckt ja schon die Erläuterung darüber, wie ich "marode" im Zusammenhang mit dieser Stadt sehe. Obwohl das Wort allgemein einen negativen Zustand beschreibt (heruntergekommen, verbraucht usw.) - für mich heisst es auch: nicht schöngestrichen, glattgemörtelt und zugepappt, sondern eine stärkere Spur in die Vergangenheit, wenn auch ungewollt. Eine noch nicht völlig verschüttete Aura.

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